Disparat, 2009
Disparat, 2009

Zwischendinge
Barbara Leicht M.A.
Text aus der Publikation: dazwischen, 2013

 

Wir leben in unseren kulturellen Breiten in einer Welt voller Objekte und sind von vielen Dingen umgeben, die nicht lebensnotwendig sind. Dieser von Industrie und Werbung erzeugte Überfluss spiegelt vor, wie viel leichter uns das Leben fiele, wie viel schöner es wäre, besäßen wir die neuesten Elektrogeräte oder Wohnaccessoires in modischen Farben. Auf all diese Dinge könnten wir getrost verzichten, jedoch befinden wir uns im Strudel des Konsums: Viele Menschen wollen stets auf dem neuesten Stand der Technik oder des Billigdesigns sein und möchten das besitzen, was das Leben so viel einfacher zu machen scheint. Das Jagdfieber, das für den urzeitlichen Menschen existentiell war, ist bis heute in anderer Form erhalten geblieben. In dieser Welt der (zu vielen) Dinge sind wir Schnäppchenjäger und Konsumjunkies geworden, gesteuert von der Industrie, abhängig von der Werbung.

Um die Käufer zu stimulieren, ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Gestaltung unserer Umwelt immer wichtiger geworden. Neben der Optimierung ihrer Handhabe und einer modefarblichen Akzentuierung, erhalten alltägliche Objekte ihre Form meist durch ihre Funktion kombiniert mit einem mehr oder weniger schönen Design. Bei den Materialien, die eine rein (haus-) technische Funktion besitzen und eher verbaut sind, soll Design Funktion und Qualität vermitteln.

Die Bildhauerin Annette Voigt stellt solche trivialen Gerätschaften und technischen Materialien in den Kunstkontext. Sie entwickelt daraus ihre zum Teil Raum füllenden Installationen1, unter anderem Zäune mit fraglichen Schutzfunktionen oder Wasserleitungen ohne Wasserzufluss. Voigt arbeitet ortsbezogen, sie widmet sich dem Genius Loci und generiert ihre Werke anhand verschiedener Aspekte eines Ortes.

Aus diesen meist temporären Arbeiten entwickelt die Künstlerinjeweils Multiples, die zeichenhaft an den Inhalt des räumlichen Konzepts erinnern lassen.

Die neue Atmosphäre, in der sich die einstmals funktionalen Gegenstände nun befinden, also der kunstmuseale Bereich oder die Aufstellung eines Werks im öffentlichen Raum, versetzt mit dem theoretischen Konzept Voigts alltägliche Dinge in einen gänzlich anderen Zusammenhang. Die Künstlerin spielt mit der Form ihrer Baumarkterrungenschaften sowie mit unserem Wissen um deren Funktion und entgegnet dem Gestaltungsdrang ihrer Mitmenschen mit ironischen Konnotationen.

IhreErkennbarkeit trägt zur Ambiguität dieser Gegenstände bei. Durch den Erfahrungsschatz des Betrachters in ihrer ursprünglichen Funktion identifiziert, irritieren ihn diese artifiziellen Dinge besonders durch die Kombination mit weiteren, zu anderen technischen Zusammenhängen zugehörigen Werkstoffen. Das, was kurzzeitig erklärbar war, wird von Annette Voigt zu einem rätselhaften Objekt verwandelt. Ihre künstlerische Idee bedingt eine stringente Theorie in ihrem Schaffen, die das Kunstwerk erst zum Kunstwerk macht2. Sie sucht nach historischen, inhaltlichen und formalen Anknüpfungspunkten3und nach dem Verwandlungspotenzial trivialer Gegenstände. Dem Betrachter stellen sich mehr Fragen, als die Objekte Antworten geben. Gerade weil sie alltägliche Dinge verwendet, konfrontiert die Künstlerin die Wahrnehmung ihrer Rezipienten in hohem Maße.

Die Ästhetik der Objekte ergibt sich aus der funktionsbedingten, DIN- genormten, industriellen Form und der sich im 100stel-Millimeterbereich befindlichen Perfektion der Herstellung. Im Unterschied zum Designobjekt zeigt die Künstlerin hauptsächlich Dinge, die weniger mit den eingangs erwähnten „schönen“ Gegenständen zu tun haben und eher einen Platz am Rande des Designs besetzen. Annette Voigt hebt diese Dinge durch ihren künstlerischen Eingriff auf einen höheren Rang unserer ästhetischen Wahrnehmung, was u. a. gut an der Vergoldung billiger Plastikteile einiger Installationen oder Multiples nachvollzogen werden kann.

Dabei distanzieren sich Dinge, die ohne Zögern in die Hand genommen werden könnten, durch ihre neue Rolle als Kunstobjekte von dieser Selbstverständlichkeit. Denn wenn der Betrachter etwas nicht berühren darf, was er sonst im Baumarktregal stück- oder meterweise findet und mitnehmen kann, gerät er in einen Zwiespalt. Die Bildhauerin gibt seiner strapaziösen Suche nach Sinn, Zweck und Funktion der Materialien als Kunst freien Raum für alle denkbaren Interpretationsmöglichkeiten. Neu kombiniert, neu arrangiert, mit gänzlich neuer Funktion und in neuem Kontext befinden sich die Objekte von Annette Voigt irgendwo zwischen industriellem Design und Kunst als „Zwischendinge“.


1 Siehe z.B. „Denkraum“ 2009, „Fata Morgana“ 2010, „Brazil“ 2011, u.a.

2 Konrad Paul Liessmann, Das Universum der Dinge – Zur Ästhetik des Alltäglichen, Wien 2010, S. 76.

3 Z.B. weist „Der Laden“, die jüngste Installation Voigts auf die ehemalige Funktion der Räume des Kunstvereins Erlangen in der Gründerzeit hin.