Schlussverkauf
Kathleen Rahn
Text aus der Publikation: dazwischen, 2013

 

Betritt man den Kunstverein Erlangen, findet man hier nicht mehr den als Ausstellungsraum hergerichteten Verkaufraum vor, sondern man meint in einem veritablen ‚Laden’ (so auch der Titel der Ausstellung) zu stehen. Vor dem Eintritt erfährt man von diesem Shop durch eine Karte in dem für Wurfsendungen gängigen Design, die mit knalligen grafischen Effekten und einem Rabattversprechen über zehn Euro versucht hinein zu locken in die Höhle des Löwen, in das Schlaraffenland des Konsums. Annette Voigt hat in dem Ladenlokal des Kunstvereins einen Shop eingerichtet, doch was wird hier verkauft?

 

Präsentiert auf aufgestapelten Kartons aus dem Supermarkt werden Objekte angeboten, die selbst aus Dingen bestehen, die wir ebenso wie das ganze Setting aus der Warenwelt kennen. Doch sind die verschiedenen Utensilien derart montiert, verändert, bearbeitet, materiell veredelt und ad absurdum geführt, dass klar ist, dass diese ‚Waren’ oder ihre Bestandteile keinen Zweck (mehr) erfüllen, sondern Kunstobjekte sind. Annette Voigt stellt seit langem analog zu ihren Installationen Auflagenobjekte her. Diese Multiples werden nun erstmalig zusammen und nicht im Kontext einer Installation öffentlich präsentiert und sie bieten auf den zweiten Blick eine Art Retrospektive des Oeuvres der Künstlerin an.

 

Die Objekte als auch die Installation des Ladens zeigen ein klares Interesse an der Verschiebung. Eine Verschiebung der Nutzbarkeit der Objekte, da Annette Voigt mit einer vermeintlichen Gebräuchlichkeit der Dinge spielt, diese jedoch niemals einlöst. Ebenso handelt es sich bei dem gesamten Setting um eine Verschiebung, da die Sprache des Displays aus dem Bereich des Angewandten in den White Cube überführt wird. Es geht hier darum die Sprache eines profanen Systems in das Kunstsystem zu überführen, um hiermit eine Installation zu generieren, die zum einen irritiert, zum anderen eine große Wiedererkennbarkeit und Vertrautheit bietet, da man viele der Dinge, die zu Multiples werden aus dem Baumarkt oder anderen Läden kennt.

 

Der Shop hat Tradition in der Kunstgeschichte, hierzu nur zwei Beispiele: berühmt ist Claes Oldenburgs „The Store“ (1961-1964), in dem er Objekte der Warenwelt der umliegenden Lower Eastside als Gips- oder Keramikobjekte zum Kauf anbot und somit profane Dinge wie Sandwiches, uvm. als künstlerische Vorlage nahm um sozusagen künstlerische Doppelungen hiervon herzustellen.

Ebenso im Bewusstsein der Warenwelt funktionierte Christine Hills „Volksboutique“ auf der documenta X. Hier konnte der Besucher sich ausführlich beraten und günstig von ihr mit Second Hand Kleidung einkleiden lassen, wobei die Künstlerin den Begriff „Volksboutique“ als Label begreift und hierunter verschiedene Dienstleistungen als Kunstinstallationen inszeniert. Diese Beispiele stehen beide für eine vom Künstler selbst generierte Parallelwelt der Warenwelt, wobei jede künstlerische Praxis hiermit individuell operiert.

 

Annette Voigt hingegen bedient sich der Warenästhetik und überführt Präsentationsmodalitäten, doch nicht um hier etwa wie Odenburg Kunstobjekte, die sich auf Waren beziehen oder wie Hill reale Anziehsachen anzubieten, sondern um ihre eigene Kunst, die auch ohne dieses Präsentationssystem existiert, in diesem Kontext zu präsentieren. Das ist insofern logisch, da das Display im Grunde das verlängert, was in Voigts’ Multiples bereits vorhanden ist: es geht um eine Materialität, die von profanen Zusammenhängen inspiriert ist.

 

Dieses Interesse an Materialität zieht sich durch Annette Voigts Werk. Oft sehen wir Plastikrohre, die sie teilweise mit Blattgold veredelt oder einfach als Material für ihre Skulpturen verwendet und somit ebenso aufwertet. Für die Installation „Brazil“ (2011 im Kunstverein Zirndorf) wurde mit Plastikmaterial als raumgreifende Installation der Raum aus den Angeln gehoben: Als wären die Verkleidungsplatten der Decke geplatzt und hätten ihr Inneres ausgespukt, stand man in einem Dschungel aus Plastikrohren und Schläuchen. Der Raum war nur noch vorsichtig mäandernd begehbar und man wurde Teil der Installation1. Ebenso wie bei dem Display im Laden spielte auch hier die Wiedererkennbarkeit des Materials eine wichtige Rolle. Man schaute sich die Elemente an und fragte sich woher diese vielen (Plastik)Teile kommen – ob etwa aus dem Bereich der Haustechnik, Medizin oder von der Baustelle. Abgesehen von dem Zweck, für welchem diese Formen ursprünglich hergestellt wurden, bieten sie jedoch eine interessante Formensprache, die durch die Verwendung im Ausstellungsraum auratisiert und deren ästhetisches Potenzial hier überhaupt erst wahrnehmbar wird – jedoch braucht es hierfür das künstlerische Konzept um dieses Material in eine ästhetische Erfahrung zu überführen.

 

Dass KünstlerInnen mit allen in unserer Welt verfügbaren Materialien arbeiten, Techniken und Verfahren aus anderen Bereichen als den vermeintlich kunstimmanenten verwenden, ist gängige Praxis und so sieht der erfahrene Ausstellungsbesucher auch schon einmal durch die Kunst beispielsweise die Dachlatte nicht mehr als solche usw… Die Frage ist jedoch, warum man welches Material verwendet, wie einsetzt und inwiefern hiermit eine Setzung verbunden ist? Im Falle von Annette Voigt geht es neben der Faszination für das Material um einen ironischen Kommentar, denn wenn es nicht Gebrauchsmaterialien aus den Untiefen von Gebäuden sind, benutzt sie oftmals Materialien, die man gemeinhin im bürgerlich spießigen Milieu findet bzw. die hier eine wichtige Rolle spielen – ich denke hierbei etwa an Blumentöpfe oder den Gartenzaun.

 

Gartenzäune tauchen mehrfach auf. So beispielsweise in der Installation „Zaun-Urban“ (2009, Frankencenter Nürnberg anlässlich des Langwasser Kunstpreises). Hierfür hat Annette Voigt wie auch für vergangene Zäune einen Prototyp des Gartenzauns verwendet, der aus einfachen Holzlatten besteht, sodass es ganz klar um den Gartenzaun ging. Im Falle dieser Arbeit wurde der Holzzaun jedoch 1,80 m hoch und umgrenzte eine ‚Grüninsel’ bestehend aus Grünpflanzen in Hydrosteinchen eingebettet in eckige Gefäße, umgeben von Sitzbänken, auf die man sich setzen kann. Normalerweise bietet diese Insel die Möglichkeit sich auszuruhen und den Passanten des Shoppingscenters zu zuschauen bzw. von ihnen gesehen zu werden. Nun aber ist man eingezäunt. Die Latten bieten die Möglichkeit, sich zu verstecken, sie bewirken jedoch andererseits, dass es fast beengend ist bzw. man wie ‚hinter Gittern’ durch die Ritzen der Latten schauen kann.

 

Die neu gesetzte Grenze des Zaunes thematisiert eine Verschiebung von Privatheit oder Intimität versus Öffentlichkeit. Es ist nun möglich sich im öffentlichen Raum zu verschanzen, wenn auch nicht wirklich. Grundsätzlich ist das Prinzip des Umkehrens von räumlicher Nutzung wiederum wie in einigen Arbeiten der Künstlerin auch hierin explizit, sie setzt eine durchlässige Grenze, grenzt Raum ab und ein und gestaltet die Piazza hiermit um, verschiebt Nutzbarkeit und Wahrnehmung. Diese Umgestaltung ist eine wichtige Setzung, die den Raum neu erfahrbar macht – eine Eigenart, die Annette Voigt in all ihren Arbeiten anwendet: Vertrautes neu zusammen zu setzen und hiermit verblüffende autarke Objekte und Installationen zu generieren.

 

Zum Ende der Ladenlaufzeit der Ausstellung im Kunstverein Erlangen2wird es wegen Geschäftsaufgabe einen Räumungsverkauf geben, sodass man dann letztendlich wie im Schlussverkauf alles günstiger erwerben kann – shop till you drop, alles muss raus! Greifen Sie zu!

 

 

1 Ein weiterer Bestandteil der Installation waren Sounds des Künstlers Helmut Kirsch, der hiermit eine weitere räumliche Ebene hinzufügte.

2 Dieser Text wurde vor der Ausstellung verfasst.